Arzt, Bergführer und Corona-Überlebender

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Dr. Pierre Muller ist knallhart. Anders kann man das einfach nicht sagen.

Der 49-Jährige ist ein erfahrener Bergführer, arbeitet als Arzt in der Notaufnahme in Sallanches in der Nähe von Chamonix und ist Mitglied des französischen Bergrettungsdiensts der Gendarmerie der nördlichen Alpen. Das heißt, wenn er nicht in der Notaufnahme des Krankenhauses arbeitet, fliegt er in Hubschraubern und rettet Menschen, die sich in den Bergen verletzt haben. Im Laufe der Jahre hat der Salomon-Botschafter als Mannschaftsarzt bei Expeditionen des Salomon TV gedient, indem er unsere Crew und die Athleten zunächst für die Folge „Eclipse“ nach Svalbard in Norwegen und dann für die Folge „Guilt Trip“ zum grönländischen Eisschild begleitete. Er hat einige der höchsten Wände in den Alpen bestiegen – darunter die Nordwand des Eigers und das Matterhorn im Winter – sowie Gipfel in Madagaskar, der Sahara, Pakistan und im Yosemite-Park. Also kann man sagen, dass er wirklich fit ist.

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Wenn man sein Leben lang Orte wie diese besucht und solche Dinge getan hat, ist das Letzte, was man erwartet, von einem Virus befallen zu werden, der einen innerhalb von Tagen sterbenskrank ans Bett fesselt. Und dennoch rang Paul nach einer Ansteckung mit dem Corona-Virus noch vor zwei Wochen mit dem Leben.

„Ich kam am Freitag, den 20. März, von der Arbeit nach Hause und fühlte mich erschöpft“, erinnert sich Pierre. „Ich habe meine Temperatur gemessen und hatte 39 Grad Fieber. Ich war mir zu 80 Prozent sicher, dass es Corona war, weil ich Anfang der Woche bei meiner Arbeit mit Covid-Patienten zu tun hatte und die Inkubationszeit bei etwa fünf Tagen liegen sollte. Aber ich dachte: Ich bin jung und fit, also bleibe ich einfach im Bett, und dann wird es schon wieder.“

Er isolierte sich von seiner Frau und seinem kleinen Sohn und verbrachte die nächsten sieben Tage im Liegen. Er war so müde, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Während dieser ganzen Woche stand Pierre in ständigem Kontakt mit seinen Kollegen im Krankenhaus, in dem er arbeitet, und informierte sie über seinen Gesundheitszustand. Nach einer Woche verschlechterte sich sein Zustand zusehends.

„Am achten Tag konnte ich immer schlechter atmen, also ging ich ins Krankenhaus und ließ mir die Brust röntgen und Blutproben entnehmen. Diese bestätigten, dass ich Corona hatte“, sagte er. Die Aufnahmen von Pierres Brustkorb zeigten, dass beide Seiten seiner Lunge schwer befallen waren und dass er aufgrund des Sauerstoffmangels in seinem Blut beatmet werden musste. „Ich benötigte Sauerstoff“, sagte er. „Ich fühlte mich wie auf 7500 Meter Höhe und war sehr, sehr schwach.“

Insgesamt war Pierre sieben Tage lang zu Hause und vier weitere Tage im Krankenhaus krank. An Tag 12 begann sich sein Gesundheitszustand zu verbessern und am 14. Tag fühlte er sich langsam wieder normaler. Aber er hätte es fast nicht überlebt.

„Die kritischen Tage waren die zwischen dem 7. und 11. Tag“, so Pierre. „Das sind die Tage, an denen du wirklich das Zeitliche segnen kannst.“

pierre muller kite ski
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Als Arzt, der Patienten mit Covid-19 behandelt hat und nun selbst darunter leiden musste, fordert Pierre die Menschen auf, die Maßnahmen ernst zu nehmen und sich für die nächste Zeit zu isolieren. Als echter Naturliebhaber versteht er, dass es für die Aktiven unter uns nicht leicht ist, sich zu isolieren. Er möchte dennoch klarstellen, dass die Konsequenzen eine Frage von Leben und Tod sind, auch wenn dieses Leben vielleicht nicht das eigene ist.

„Zu Hause zu bleiben, ist jetzt die einzige Möglichkeit, Leben zu retten“, betont Pierre. „Wenn sich immer mehr Menschen infizieren, werden die Krankenhäuser überlastet sein, und wir können einfach nicht noch mehr Patienten behandeln und mehr Beatmungsgeräte bereitstellen. Ich habe eine Prognose gesehen, was ohne Shutdown in Frankreich passieren würde, und es wird geschätzt, dass wir 20 Mal mehr Todesfälle hätten. Ich weiß, es mutet wie das Mittelalter an, wenn alle drinnen bleiben, aber nur so können wir die Kurve abflachen. Es wird vielleicht etwas länger dauern, die Krankheit zu besiegen, aber die Krankenhäuser werden auf diese Weise damit umgehen können. Wir wollen nicht, dass alle innerhalb weniger Wochen krank werden. Selbst wenn nur 10 Prozent der Bevölkerung stationär behandelt werden müssen, werden wir nie genug Betten haben.“

Wenn du jung und fit bist – wie die meisten Läufer, Skifahrer und Wanderer – und der Meinung bist, dass dir keine Krankheit etwas anhaben kann, möchte Pierre dich darauf hinweisen, dass es dem Virus egal ist, wie weit oder schnell du laufen kannst. Im Krankenhaus haben er und seine Kollegen Patienten behandelt, die in einem noch schlechteren Zustand waren als er, und einige von ihnen waren jung und sehr fit.

„Niemand ist unbesiegbar“, warnt Pierre. „Wenn du dich krank fühlst, solltest du wirklich nicht trainieren. Man sollte nichts forcieren. Dieses Virus greift auch das Herz an und kann große Schäden verursachen, also nimm es ernst, auch wenn du jung bist. Und wenn du fit und jung bist, wirst du vielleicht keine schlimmen Symptome bekommen oder gar nicht wissen, dass du es hast, aber du könntest das Virus in dir tragen und es an jemanden weitergeben, der schwächer ist als du und viel kränker werden könnte. Die einzige Möglichkeit, Leben zu retten, sind Kontaktbeschränkungen.“

Die Unvorhersehbarkeit des Virus war auch für Pierre und andere Mediziner alarmierend. So kann ein Patient zunächst nur milde Symptome haben, aber von einem Moment auf den anderen so schwer erkranken, dass er in Lebensgefahr schwebt.

„Man untersucht eine Person, der es gut geht, also schickt man sie nach Hause. Ein paar Stunden später bekommen wir einen Anruf, dass sie nicht atmen kann. Wir sagen dann, sie soll wieder vorbeikommen, und dann benötigt sie ein Beatmungsgerät, weil sie ohne ein solches Gerät sterben könnte“, erklärt Pierre. „Es lässt ich ganz schwer vorhersagen und hängt von deiner eigenen Reaktion auf das Virus ab.

Pierre hat schon für gemeinnützige Organisationen im Irak Freiwilligenarbeit geleistet und sich bei Flüchtlingskrisen eingesetzt, doch eine Pandemie wie diese hätte er weder in Frankreich noch in anderen Ländern der ersten Welt jemals erwartet. „Die Situation ist sehr schockierend für mich und es ist nichts, was im Medizinstudium gelehrt wird“, sagt er. „Heute haben wir ein Krankenhaus, in dem gearbeitet wird, als wären wir im Krieg.“

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Pierre ist der Meinung, dass das Leben auch nach dem Lockdown noch für eine Weile anders sein wird, da die Menschen an Orten wie Berghütten und sogar in Büros engen Kontakt vermeiden müssen.

„Wenn wir wieder zum Arbeiten und für Freizeitvergnügen nach draußen gehen dürfen, müssen wir uns sehr klug verhalten“, sagt er. „Wir müssen wahrscheinlich einen Mundschutz tragen, um nicht nur uns selbst, sondern auch den Rest der Welt zu schützen. Ich bin zuversichtlich und habe heute ein gutes Gefühl, weil die meisten Menschen, die ich im Krankenhaus sehe, sehr respektvoll sind. Sie vertrauen uns und sie respektieren die Regeln – und das werden wir alle auch weiterhin tun müssen.“

Als wir mit Pierre sprachen, hatte er gerade seinen drei Monate alten Sohn wegen seiner Krankheit zum ersten Mal seit mehreren Wochen im Arm gehalten. Am nächsten Tag wollte er wieder eine 10-Stunden-Schicht absolvieren, denn seine Kenntnisse werden benötigt, um mehr Covid-19-Patienten behandeln zu können, die sich in der gleichen Situation befinden wie er noch vor wenigen Tagen. Pierre wird aufpassen müssen, das Virus nicht aus dem Krankenhaus mit nach Hause zu bringen. Er wird am Arbeitsplatz duschen, bevor er nach Hause geht, er wird keine Uhr tragen, er wird seine Schuhe zu Hause vor der Tür ausziehen und wieder duschen, sobald er zu Hause ist, und sofort seine Kleidung waschen. Zum Glück sind sowohl seine Frau als auch sein Sohn gesund, aber Pierre war klar, dass er bald wieder den Kampf gegen das Virus antreten wird – ein Kampf, der wohl noch Wochen dauern wird.

„Morgen gehe ich wieder zur Arbeit“, sagt er.

 

Als kleines Zeichen unserer Anerkennung für die Arbeit, die von medizinischen Fachkräften wie Pierre an vorderster Front im Kampf gegen Corona geleistet wird, hat Salomon dem medizinischen Personal der französischen Krankenhäuser in Lyon, Paris, Mulhouse, Chambéry, Marseille und unserer Heimatstadt Annecy RX Slide Schuhe und Kompressionsstrümpfe gespendet. Salomon arbeitete mit Krankenhausorganisationen in diesen Städten zusammen, die sehr stark von dieser Gesundheitskrise betroffen sind, um sicherzustellen, dass diese Schuhe für den Einsatz in medizinischen Umgebungen zugelassen sind. Wir hoffen, dass die Schuhe den mutigen Menschen, die für uns alle von morgens bis abends auf den Füßen sind, etwas zusätzlichen Komfort bieten.

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